Radio
jonathan-velasquez (unsplash)
Radio
Ist das wirklich noch gutes Benehmen?

Warum startet ein Sprintwettbewerb, wenn eine zweite Kasse öffnet?

Klar wir haben alle wenig Zeit, und wenn man dann noch an der Supermarktkasse warten muss, macht einen das nicht unbedingt entspannter und glücklicher. Heißt das aber gleich automatisch, dass bei der Öffnung einer zweiten Supermarktkasse gleich alle ihr Benehmen verlieren dürfen?

Wir hetzen nach der Arbeit noch zum Supermarkt. Mist, schon wieder ist mehr los, als man eigentlich erwartet oder gehofft hatte. Die Schlange an der Kasse wächst mit Person zu Person weiter und arbeitet sich fast bis zu den Kühlprodukten vor. Das Gemurre nach einer weiteren Kasse ist schon zu vernehmen. Alle schauen gespannt und voller Hoffnung, ob sie bereits eine weitere Supermarktmitarbeiterin entdecken können, die sich zielstrebig auf eine weitere Kasse zubewegt. Und dann tatsächlich: Eine Dame des Supermarktes marschiert mit einem Kassenelement aus dem Personalraum in Richtung der Kassen. Spätestens jetzt setzt die allgemeine Benehmensamnesie ein.

              
Doch wie verhalte ich mich dann richtig im Supermarkt?

Ein mögliches Szenario wäre, dass man sich gemeinschaftlich über die Öffnung einer weiteren Kasse freut. Man wartet dann kurz ab, wer sich vor einem aus der Schlange löst und wechselt. Dann erst reiht man sich dahinter ein - so wird die Reihenfolge aufrechterhalten. Eine Situation, die man durchaus auch in den Niederlanden oder Spanien erleben kann - nur leider nicht bei uns!

Entdeckt der gewiefte Einkäufer, dass sich die Öffnung einer zweiten Kasse anbahnt, dann scharrt er schon mit den Hufen, legt einen Sprint ein - ohne Rücksicht auf Verluste - drückt sich an den wartenden in der Reihe vorbei, um sich dann stolz wie ein Gorilla mit seinen Einkäufen vorne an der Kasse aufzubauen, während die Kassiererin sich nicht mal ihren Stuhl zurechtgerückt hat. Der zuvor unauffällige Einkäufer wird hier zum aggressiven Angreifer, um die Pole-Position an der Kasse zu ergattern. Beglückt vom persönlichen Erfolgserlebnis, das er sonst nur empfindet, wenn er auf der Autobahn bei stockendem Verkehr links an dem lahmen Fiat vorbeizieht, um dann gerade noch die Ausfahrt geschmeidig zu erreichen, hat er so seinen ganz eignen kleinen Gewinn an diesem Tag für sich gemacht. Alle anderen Universalidioten reihen sich ja schließlich hinter ihm ein.

Sollte aber nicht die Entlastung der Situation durch die Öffnung einer weiteren Kasse allen gebühren und vor allem denjenigen, die schon in der Schlange nebenan weitaus länger gewartet haben? Die Entscheidung ist am Ende jedem selbst überlassen. Im Alltag kann es manchmal aber doch erquickender sein, wenn sich die Person vor einem lächelnd bedankt, wenn man sie beim Einreihen in die neue Kassenschlange wieder an ihren Platz lässt, statt ganze Familien mit dem Einkaufswagen beiseite zu rammen. Ist die Zeit des einen denn mehr wert, als die eines anderen?

Übrigens, einen rechtlichen Anspruch auf eine begrenzte Wartezeit haben Kunden nicht. Als Kunde kann man bei großem Andrang aber bei den Mitarbeitern auf die Öffnung weiterer Kassen drängen – schließlich haben die Händler ein Interesse daran, ihre Kunden nicht zu verprellen.