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Das exklusive Radio Regenbogen-Interview mit Sennas Mutter

Zweiter Prozess-Auftakt: Babymord in Frankenthal

Babymord-Pozess wird zum zweiten Mal im pfälzischen Frankenthal verhandelt. Im Sommer dieses Jahres haben wir die Mutter der kleinen Senna zu einem exklusiven Interview getroffen.

Babymord-Prozess von Frankenthal - Exklusiv-Interview mit der Mutter von Senna
Babymord-Prozess von Frankenthal - Exklusiv-Interview mit der Mutter von Senna

Dieses Verbrechen schockierte nicht nur Baden und die Pfalz: in der Nacht auf den 14. Mai 2016 soll David L. im Kokainrausch seine erst zwei Monate alte Tochter Senna vom Balkon im zweiten Stock geworfen haben. Deutschlandweit ging der aufsehenerregende Prozess, der am Landgericht im pfälzischen Frankenthal verhandelt wurde, durch die Medien. Die Mutter der kleinen Senna war zunächst immer vor Gericht dabei. Doch irgendwann wurde der Druck zu groß, sie wünschte sich nur noch, dass endlich das Urteil im Mordprozess gegen ihren ehemaligen Lebensgefährten fallen würde. Doch dann verzögert sich alles, die zuständige Richterin wurde krank. Und da sie keine Beisitzer hatte, die sich an Stelle ihrer ein Urteil hätten bilden können, muss der Prozess gestoppt werden. Am Dienstag, den 12. Dezember 2017 wird das Verfahren neu aufgerollt. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Angeklagten David L. Mord an seiner Tochter Senna vor.

Wie erträgt Sennas Mutter das alles?

Das eigene Kind zu verlieren - ein Schmerz, den Eltern kaum aushalten können. Wie muss es dann erst Sennas Mutter gehen, die ihre kleine Tochter vor inzwischen 19 Monaten in Frankenthal auf so grausame Weise verloren hat? Wir von Radio Regenbogen durften mit ihr sprechen. Wir erlebten eine unfassbar starke junge Frau, die sehr reflektiert mit ihrer Trauer, ihrer Wut und mit ihren Erinnerungen an die grausame Nacht im Mai 2016 umgeht.

Ich wusste inzwischen, dass er bösartig war. Aber in dieser Nacht dachte ich, da steht ein Teufel vor mir!

Rückblickend sagt die junge Frau, deren Identität wir so gut wie möglich schützen wollen, dass sie andere Frauen warnen will. Niemand solle sich in einer Beziehung so unter Druck setzen lassen, wie sie sich von David L. unter Druck gesetzt fühlte. Sie beschreibt, dass ihr ehemaliger Lebensgefährte ihr permanent hinterher spionierte. War sie nach einem zu vor mit ihm abgesprochenen Besuch bei ihren Eltern wieder in der gemeinsamen Wohnung, sei es immer wieder passiert, dass er sie unvermittel ohrfeigte. Er habe ihr nicht geglaubt, sie sei nur bei ihren Eltern gewesen. Außerdem habe er ihr - kaum zu Hause - das Handy abgenommen, auch das Festnetztelefon war immer bei ihm. Viele Türen habe er in der gemeinsamne Wohnung ausgehängt, vermutlich damit sie sich nicht einschließen konnte "und die anderen Türen waren so, die hätte man auch aufpusten können", erinnert sich die junge Frankenthalerin. "Außerdem wollte er auch Heimkameras installieren [...] er war bessen von mir".

Drohungen und Todesangst

Wenn die junge Frau ihr Zusammenleben mit David L. beschreibt, fragt man sich: wieso hast Du Dich nicht getrennt? Doch schnell wird klar, dass David L. seine Expartnerin mit Drohungen scheinbar gezielt in eine Abhängigkeit getrieben hatte. Dennoch versuchte sie sich von David L. zu lösen. Im Interview erinnert sie sich: "Das war eine ganz spontane Aktion [...] aber dann hatte ich ein komisches Gefühl und dann fuhr der David auch schon mit dem Fahrrad an mir vorbei. Ich hab ihn dann angehalten. Und dann hatte der doch tatsächlich einen Rucksack dabei und da waren vier Messer drin. Und dann hat der David gesagt, wenn Du Dich von mir trennst, dann stech' ich Deine ganze Familie ab". Laut der jungen Frau bei Weitem nicht die einzige Drohung, die David L. ihr gegenüber ausspricht.

Seine Eifersucht auf Baby Senna

In den ersten Wochen nach der Geburt der gemeinsamen Tochter Senna scheint David L. glücklich. Zu diesem Zeitpunkt hat der inzwischen 33-Jährige bereits vier Kinder aus einer früheren Ehe. Sennas Mutter beschreibt, dass er außer sich vor Angst war, als das kleine Mädchen ein Mal krank war und die jungen Eltern mit ihrem Kind ins Krankenhaus fuhren. Doch nach wenigen Wochen lässt das Interesse an seiner Tochter nach, so empfand es unsere Interview-Partnerin.

Ein Mal sagte David zu mir am Telefon: ich hab Dir doch kein Kind gemacht, damit Du das Haus verlässt!

Sie erinnert sich an einen Abend, da gab sie Senna David L.. Sie bat ihn, die gemeinsame Tochter zu füttern. Doch dann habe er gesagt, er bekäme ja immer die blöden Aufgaben ab. "Ich glaube heute, Senna war nicht wirklich ein Kind der Liebe für ihn, sondern schon eher Mittel zum Zweck um mich an ihn zu binden".

Was geschah in der Nacht auf den 14. Mai 2016 in Frankenthal?

Spät am Abend habe sie noch Essen gekocht, ließ David L. kosten, der an diesem Abend einen Freund zu Gast hatte. Außerdem waren in dieser Nacht auch die zwei Töchter von David L. aus einer früheren Ehe zu Gast. Die beiden Mädchen schliefen bereits im Schlafzimmer von David L. und seiner damaligen Lebensgefärtin. Die junge  Mutter legte sich zu ihnen, Baby Senna war im gleichen Raum in ihrem Kinderbettchen. David L. und sein Freund hielten sich offenbar im Wohnzimmer auf. Dann überschlagen sich die Ereignisse gegen ein Uhr in der Nacht. Als die junge Mutter gerade eingeschlafen ist, soll David L. die Schlafzimmertür aufgerissen und das Licht eingeschaltet haben. "Er hat direkt rumgebrüllt, ich würde ihm die Polizei auf den Hals hetzen, ich würde ihn betrügen, ich hätte einen anderen", erinnert sich die Frankenthalerin. Sie beschreibt die Situation so, dass man sich kaum vorstellen kann, welche Ängste sie, aber auch die beiden Mädchen in diesen Minuten empfunden haben müssen. Während er seine damalige Lebensgefärtin angebrüllt und am Hals gepackt haben soll, hätte er sich ein Messer aus der Schreibtischschublade geholt. Die junge Frau erinnert sich, wie sie mit aller Kraft ihr Finger zwischen ihren Kehlkopf und die Klinge des Messers schob, denn David L. habe ihr die Waffe an den Hals gedrückt. In diesem Moment betritt der Freund des Angeklagten das Schlafzimmer, soll David L. zugerufen haben, er solle seine Freundin verschonen. Der junge Mann geht dazwischen, will David L. das Messer abnehmen. Doch in diesem Moment stich er zu. Er trifft die junge Frau ganz in Hals-Nähe in die rechte Schulter - sie sackt zu Boden.

Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er wirklich zusticht. Ich hab auch erst nix gespürt. Erst als das Blut so warm an mir hinunter lief.

Es folgen zwei weitere Stiche in den Rücken der jungen Frau, David L. soll auch seinen Freund mit dem Messer an der Hand verletzt haben, als dieser David L. die Waffe abnehmen wollte. Die Telefone - weggesperrt, die anderen Zimmer - keines in dem sie sich vor dem Zorn von David L. hätte verstecken können. Und die ganze Zeit schreit ihre Tochter Senna. Die junge Mutter greift in Panik zum Autoschlüssel, rennt aus der Wohnung und schreit vor dem Haus so laut sie kann um Hilfe. Inzwischen ist es nach 01:30 Uhr in der Nacht. Niemand reagiert. Sie setzt sich ins Auto, will Hilfe holen. Dabei bemerkt sie, dass sie im rechten Arm keine Kraft mehr hat. David L. hat beim ersten Stich ihren Muskel getroffen - so schwer, dass die Frau bis heute gesundheitliche Probleme hat. Blutüberströmt stoppt sie einen Passanten. "Der hat sich erstmal fürchterlich vor mir erschreckt, da war ja überall Blut", erinnert sie sich. Der Mann ruft die Polizei - die junge Mutter steht schwer unter Schock. Der fremde Mann fährt mit ihr zu ihrem Haus zurück, dort ist die Polizei bereits vor Ort.

Der schlimmste Moment in ihrem Leben

Der Freund von David L. liegt bereits gefesselt am Boden vor dem Mehrfamilienhaus, als die junge Frau mit dem Mann, den sie zur Hilfe holte, zurück kommt. Sie erinnert sich, wie sie die Polizisten vor Ort anschrie, er (David L., Anm. d. Red.) sei noch in der Wohnung mit den drei Kindern.

Und dann kam auch schon die Polizisten aus dem Garten mit Senna auf dem Arm. [...] wie ihr Kopf hing und ihre Augen zu waren. [...] Das habe ich nicht verkraftet, ich verkrafte das heute noch nicht.

Senna ist tot

Das kleine Mädchen wurde gerade mal zwei Monate alt. Ihre Mutter kann ihre Tränen im Interview mit Radio Regenbogen nicht zurückhalten, als sie weiterspricht. Und sie erinnert sich: sie schrie, sie stampfte, sie riss sich die Haare vom Kopf. "Ich hab geschrien, wie eine, ich weiß nicht, wie so eine Kreatur. Als wäre das gar nicht meine Stimme. Ich habe so einen Schmerz aus mir heraus geschrien". Sie sah, wie der leblose kleine Körper ihrer Tochter von der Polizeibeamtin in einen Rettungswagen getragen wurde. Andere Einsatzkräfte wollten, dass die junge Mutter in einen Krankenwagen steigt. "Aber ich wollte mich nicht behandeln lassen".

Alle haben gesagt, ich sollte an mich denken. Aber ich wollte nicht an mich denken. Welche Mutter denkt denn an sich?

Was sie vor Gericht erfuhr

Im Laufe des ersten Prozesses sagt der Freund von David L. aus, der an dem besagten Abend mit in der Wohnung war. Die junge Mutter ist mit im Frankenthaler Landgericht als sie hört, was geschah, während sie schwer verletzt und blutüberströmt Hilfe holte. David L. habe seine kleine Tochter Senna aus ihrer Wiege genommen. Er habe den Säugling angebrüllt: "Du dummes Balg, deine Mutter hat viel mehr Aufmerksamkeit für dich als für mich", so beschreibt der Freund, was er in der Wohnung mit ansah. Er habe auf den Angeklagten eingeredet, er solle doch seinem eigenen Kind nichts antun. Dann soll David L. zum Balkon gegangen sein. Dort soll er sich mit dem Rücken zur Brüstung gestellt haben. Die Frankenthalerin erinnert sich genau an die Aussage von David L.s Freund.

Er soll sie einfach vom Balkon geworfen haben. Wie ein Kissen oder einen Ball.

Die Verteidigung von David L. plädiert auf verminderte Schuldfähigkeit, weil der Angeklagte zum Tatzeitpunkt unter dem Einfluss von Drogen gestanden haben soll. Und was für ein Urteil wünscht sich die junge Mutter nach all dem, was sie durchleben musste? "Natürlich hatte ich Hassgefühle, natürlich wünschte ich mir mal, er soll sterben. Mit den Hassgefühlen kämpfe ich auch immer noch manchmal, aber ich versuche die von mir wegzuschieben. Ich wünsche mir nur, dass jeder bekommt, was er verdient". Es scheint für diese starke junge Frau sicherlich auch immer noch sehr dunkle Momente zu geben, doch sie will am Leben festhalten. Im Herzen trägt sie die Erinnerung an ihre Tochter Senna -  genau über dem Herzen trägt sie den Schriftzug ihres Namens.