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Wie erlebten die Nachbarn die Nacht in der Senna starb?

Die Tragödie von Frankenthal - Der Babymord-Prozess

Am Dienstag ging der spektakuläre Babymord-Prozess vor dem Landgericht in Frankenthal weiter. Die direkten Nachbarn des mutmaßlichen Mörders David L. mussten noch einmal die Ereignisse aus der Nacht im Mai 2016 schildern.

Der sogenannte Babymordprozess von Frankenthal ist eigentlich die Tragödie von Frankenthal. Denn alle direkten Nachbarn haben gewusst, dass David L. immer wieder laut mit seiner damaligen Freundin stritt und dass die beiden ein gemeinsames Baby hatten. Das sagten durch die Bank alle am Dienstag befragten Zeugen aus. Doch warum schaffte es keiner, die junge Frau auf ihren aggressiven Partner anzusprechen, obwohl doch allen offenbar klar war, dass es in deren Wohnung oft Streit gab. Mindestens eine Zeugin hörte, dass die junge Frau einmal schrie: "Lass das, Du tust mir weh!". Als die Nachbarn am Dienstag befragt wurden, waren sie alle bewegt, manche sogar zu Tränen gerührt und alle waren immer noch fassungslos, das die kleine Senna mit nur zwei Monaten sterben musste.
 
Warum griff keiner ein?
 
„Da war es oft laut. Laute Musik, laut Filme geguckt. Ich hab dann David L. angesprochen und er meinte, im Gegensatz zu früher sei er schon viel leiser geworden“, sagte einer der Nachbarn. Er und seine Partnerin hätten sich einige Male bei der Hausverwaltung über den Krach beschwert. In der Nacht als Senna starb, wurden die beiden, so wie vier andere Nachbarn, die am Dienstag vor Gericht aussagten, durch den lauten Streit in der Wohnung von David L. wach. Manche früher, manche später. Wand an Wand wohnte das eine Paar mit dem mutmaßlichen Mörder. In dieser Nacht am 14. Mai 2016 lauschten sie erst - vom lauten Streit geweckt - und dann entschied sich die Frau, ein Video mit dem Handy aufzunehmen. Warum? Damit sie endlich einen Beweis für die Hausverwaltung hätte, um zu zeigen, dass ihre Beschwerden wegen dem Lärm aus der Wohnung von David L. nicht übertrieben seien.

Der Audiobeweis - nur schwer zu ertragen

Die Tonspur dieser Videoaufnahme gilt als ein wichtiges Beweisstück in dem Prozess. Lange beraten Staatsanwaltschaft, beide Verteidiger, Gericht und die Nachbarin selbst, ob sie im Saal bleiben will, wenn der die Tonspur vorgespielt wird. Die Zeugin will bleiben, obwohl sie beim ersten Prozess bewusst nicht dabei sein wollte, als sie abgespielt wurde. Über die Aufnahme sagt sie weinend vor Gericht, sie habe ja nicht wissen können, dass sie "das" mit ihrem Handy festhalten würde - sie meint den Tod der kleinen Senna. Aufgenommenb wurde das Video im Wohnzimmer der Zeugin, mitten in der Nacht und vor allem: bei geschlossenen Fenstern. Dennoch ist ein lauter Streit zwischen zwei Männern zu hören. Die Stimme des einen Mannes identifizierten mehrere Zeugen als die Stimme von David L. Das Wort "Hure" ist mindestens zwei Mal zu hören. Die Stimme des Mannes klingt dabei merkwürdig, abgehackt, wie von Sinnen. Es scheppert und rappelt - eine Zeugenaussage erklärt die Geräusche. Es habe geklungen, als habe jemand gegen Möbel getreten. Neben einem beständigen Uhrticken ist auf der Aufzeichnung auch immer wieder das Schreien des Babys von David L. zu hören. Die Mutter von Senna hatte sich zu dem Zeitpunkt schon schwer verletzt aus der Wohnung gerettet, um Hilfe zu holen. David L. hatte sie in der Nacht aus dem Schlaf gerissen, beschimpft, bedroht und dann vier Mal mit einem Messer auf sie eingestochen. Dann auf eine seiner beiden Töchter aus erster Ehe, die in der Nacht zu Besuch waren. Das Mädchen konnte nur durch eine Not-Operation gerettet werden. In der Wohnung befand sich außer David L. auch der Hauptbelastungszeuge in dem Prozess, Arthur H. Ihm wird die zweite Männerstimme auf der Aufnahme zugeordnet. 

Wenige Sekunden, die den Prozess entscheiden

Was passierte in diesen Sekunden? Die Antwort auf diese Frage entscheidet darüber, ob David L. ein Mörder ist. Fiel ihm das Kind vom Balkon oder warf er es "wie ein Kissen", wie es Arthur H. im ersten Prozess aussagte. Dieser platzte, weil die Richterin zu lange krank war. Seit Dezember 2017 läuft das Verfahren mit neuem Richter und diesmal mit Beisitzern, falls er ebenfalls erkrankt.

Eine weitere Nachbarin schilderte am Dienstag vor dem Frankenthaler Landgericht wie sie die Nacht erlebte, in der die zwei Monate alte Senna starb. Sie wachte von "bedrohlichem Lärm" auf, wie sie es nannte. Ihre Katzen hätten geknurrt, "das machen die sonst nie". Eigentlich riss sie ihre Balkontür  zum Garten nur auf, weil sie schreien wollte "jetzt langt es aber mal". Sie sei genervt gewesen, dass es "mal wieder" so laut war. Dann bemerkte sie, dass das Licht vom Bewegungsmelder im Garten brannte. "Oder gerade an ging", wollte der Richter wissen. So genau könne sie das nach fast zwei Jahren nicht mehr sagen. Sie weiß nur noch, dass sie da "eine Babypuppe" liegen sah. Ohne Brille konnte sie aber nicht so genau sehen. "Dann habe ich noch mal geschaut mit Brille, da weiß ich auch bis heute nicht, wo ich die dann auf einmal her hatte", erinnert sich die Zeugin. Nun sah sie, dass da tatsächlich ein Baby lag. Wie sie dann reagierte, wollte das Gericht wissen. Sie griff zum Handy und wählte die 112. Dann hörte sie im Treppenhaus "Polizei, legen Sie die Waffe weg". Daraufhin wählte sie die Nummer einer anderen Nachbarin und fragte sie: "In was für einem Haus leben wir hier denn?" Die Nachbarin erwiderte daraufhin: "Komm, wir verschwinden hier". Die Zeugin beschrieb, wie sie mit zwei anderen Nachbarn dann das Haus verließ. "Wir liefen stundenlang nachts durch Frankenthal". Auch der Verteidiger von David L. wollte am Dienstag von diesen Zeugen wissen, warum sie nicht zu den Beamten vor Ort gingen und meldeten, dass sie Zeuge der Tat geworden waren. Einer dieser Zeugen gab an, er habe Angst gehabt. Er habe immer mal befürchtet, "dass da vielleicht auch was mit Waffen mal passiert". ​Eine andere Zeugin bestätigte am Dienstag vor dem Frankenthaler Landgericht, dass sie kurz nach Sennas Tod aussagte, dass sie schon Monate vor der Tat Informationen über David L. hatte. Eine ehemalige Kollegin habe ihr gesagt, dass David L. seine Exfrau mit einem Messer bedroht oder angegriffen hätte und dass er mit Drogen zu tun habe. 

Erinnerungen, die schmerzen

​Natürlich fiel es allen Zeugen schwer, sich hundertprozentig an diese Nacht im Mai 2016 zu erinnern. Sicherlich war es zermürbend nach mindestens einer Aussage bei der Polizei kurz nach der Tat, dann im ersten Prozess vor Gericht und nun erneut die Erinnerungen an den Tod des Säuglings wieder wachzurufen. Selbst wer die Tonbandaufnahme nicht gehört und erst recht jeder, der sie gehört hat, mag sich vorstellen, wie sehr allein die Geräusche, das Geschrei und der Streit in dieser Nacht den unmittelbaren Nachbarn durch Mark und Bein gegangen sind. Auch der Angeklagte David L. begann am Dienstag zu weinen und verbarg sein Gesicht, als die Tonspur aus dieser Nacht vor Gericht erneut abgespielt wurde. Es ist auch verständlich, dass das mehr oder weniger Miterleben dieser Tat instinktiv Angst um das eigene Leben auslöste. Bei fast allen Nachbarn fiel unabhängig voneinander immer wieder dieser eine Satz, wenn sie den Charakter dieser einen Auseinadersetzung in der Wohnung von David L. beschreiben sollten: "So etwas habe ich noch nie gehört". Ein Satz, der sich leicht ließt, einem aber ausgesprochen von den Zeugen fast das Blut in den Adern gefrieren lässt.

​Was hätte man tun können?

Und auch ein anderer Satz fällt immer wieder: "Ich will mich eigentlich gar nicht mehr daran erinnern und ich bin froh, je mehr ich das alles vergessen kann." Doch hätte man etwas im Vorfeld tun können? Weil man weiß, hier zieht ein Mann mit einer gewalttätigen Drogen-Vergangenheit ein. Weil man immer wieder hört, dass die damals 20- jährige Frau angeschrien wird. "Du betrügts mich" soll David L. öfter gebrüllt haben. Sie soll "Scheiß Drogen, Scheiß Drogen" ihm in einem Streit vorgeworfen haben. Weil man vielleicht nie ein Wort verstanden, aber doch immer wieder Beziehungsstreitereien aus der Wohnung des Paares mitbekommen hat. Von deren Säugling weiß und sich hin wieder mal Sorgen oder Gedanken um das Baby gemacht hat. Vielleicht nicht in dieser Nacht, aber vielleicht Tage oder Wochen zuvor hätte man der jungen Frau Hilfe anbieten können. Oder wenigstens das Gespräch suchen können.

​Das Radio Regenbogen-Interview mit der Mutter der kleinen Senna findet ihr hier:

Babymord-Prozess von Frankenthal - Exklusiv-Interview mit der Mutter von Senna
Babymord-Prozess von Frankenthal - Exklusiv-Interview mit der Mutter von Senna