Der Angeklagte Taleb al-Abdulmohsen nannte am zweiten Prozesstag schockierende Details zur Tat.
Hendrik Schmidt/dpa
Der Angeklagte Taleb al-Abdulmohsen nannte am zweiten Prozesstag schockierende Details zur Tat.
Anschlag auf Weihnachtsmarkt

Todesfahrer vor Gericht: «Dann habe ich einfach Gas gegeben»

Die Betroffenen des Anschlags auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt erhoffen sich im Prozess Antworten. Am zweiten Prozesstag spricht der Angeklagte - und nennt schockierende Details.

Stundenlang redet der Todesfahrer von Magdeburg und schweift ab - am frühen Nachmittag des zweiten Prozesstages jedoch gibt er zu: «Dann habe ich einfach Gas gegeben.» Fast elf Monate nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Magdeburg am 20. Dezember 2024 hat Taleb al-Abdulmohsen vor dem Landgericht Magdeburg die Tat beschrieben. 

Als Auslöser für die Todesfahrt nannte der 51-Jährige aus Saudi-Arabien seine Auseinandersetzungen mit deutschen Behörden und deren mangelnde Hilfe für saudische Frauen. Er habe aufklären und warnen wollen. Er habe Strafanzeigen gestellt und sei aber nicht gehört worden. «Es gab nur zwei Wege: Entweder verlasse ich Deutschland oder ich greife an», schilderte der Angeklagte. 

«Kalt wie Eis»

Am Tag des Anschlags sei er «kalt wie Eis» gewesen. «In der letzten Sekunde habe ich gesehen, dass es keine Hoffnung gibt», sagte al-Abdulmohsen. Er sei davon ausgegangen, dass die Polizei ihn erschieße, habe letzte Videos aufgenommen. 

Bei der Todesfahrt wurden sechs Menschen getötet, ein neunjähriger Junge und fünf Frauen im Alter von 45 bis 75 Jahren. Mehr als 300 Menschen wurden verletzt, als der Mann den mehr als zwei Tonnen schweren und 340 PS starken Wagen mit bis zu 48 Kilometern pro Stunde über den Weihnachtsmarkt raste.

«Ich habe keine einzige Verletzung wahrgenommen»

Al-Abdulmohsen beschrieb, wie er das Lenkrad nach rechts lenkte und auf den Weihnachtsmarkt fuhr. Ihm sei alles zu langsam erschienen. Es sei gewesen, als ginge er über den Weihnachtsmarkt, wie Fahren sei es ihm nicht vorgekommen. «Ich habe keine einzige Verletzung wahrgenommen.» Erst als er den Weihnachtsmarkt wieder verlassen habe, sei ihm aufgefallen, dass er keinen weiteren Plan habe. Durch die Windschutzscheibe habe er da nur verschwommen sehen können - das Wischwasser sei rot gewesen. Erst da sei ihm klar gewesen, dass Menschen verletzt worden seien. 

Fragen des Vorsitzenden Richter Dirk Sternberg, ob er daran gedacht habe, dass unbeteiligte Menschen sterben und verletzt werden könnten bei seiner Tat, wich al-Abdulmohsen aus. Sternberg fragte auch, wie es zu der 180-Grad-Wende gekommen sei vom Arzt, der Menschen helfe, hin zu jemandem, der solch eine Tat begehe. Auch darauf antwortete der Angeklagte nicht, der vor der Tat als Psychiater im Maßregelvollzug Bernburg psychisch erkrankte Straftäter behandelte.

Der Angeklagte wurde wenige Minuten nach der Tat festgenommen. Er befindet sich seitdem in Untersuchungshaft. Die Anklage wirft ihm unter anderem sechsfachen Mord und versuchten Mord in 338 Fällen vor. 

Betroffene sichtlich angefasst

Betroffene, die die Verhandlung persönlich verfolgten, waren sichtlich angefasst. Einige rangen um Fassung. Rund 180 Nebenklägerinnen und Nebenkläger sind im Verfahren vertreten. Am zweiten Tag kamen etwa 30 Menschen - weniger als zum Prozessauftakt. Die Zuschauerreihen mit 100 Plätzen waren jedoch besser gefüllt. 

Bevor sich al-Abdulmohsen zur Todefahrt äußerte, versuchte er die Verhandlung zur Selbstdarstellung zu nutzen. Richter Sternberg ermahnte den 51-Jährigen zu Beginn des zweiten Tages, zum Geschehen und der Vorgeschichte auszusagen - statt in politische Äußerungen abzuschweifen. Zudem warnte er den Angeklagten, einen zur Verfügung gestellten Laptop während der Verhandlung zu nutzen, um politische Aufrufe zu formulieren. 

Am ersten Prozesstag hatte al-Abdulmohsen diesen hochgehalten und «Sept. 2026» war zu lesen. «Da ist die nächste politische Wahl in Sachsen-Anhalt», erklärte der Angeklagte, der als Islamkritiker bekannt ist. Am 6. September 2026 wird in Sachsen-Anhalt ein neuer Landtag gewählt. 

Angeklagter kündigt Hungerstreik an

Unbeeindruckt zeigte sich das Gericht zunächst von der Ankündigung des Angeklagten, erneut Nahrung zu verweigern. «Sie haben es nicht in der Hand, durch Hunger- oder Durststreik die Verhandlung zu verzögern oder zu torpedieren», betonte Richter Sternberg. Da die Anklage verlesen sei und al-Abdulmohsen Gelegenheit hatte auszusagen, könne die Verhandlung auch ohne ihn fortgesetzt werden, erklärte Sternberg. 

Der Todesfahrer sagte vor Gericht: «Jetzt mache ich den Hungerstreik seit gestern. Ich will das drei Wochen machen. Man erwartet keine körperlichen Schäden.» 

Gutachter verfolgt Aussage

Bei seiner Aussage wurde der Angeklagte von einem psychiatrischen Gutachter beobachtet. Dieser wird an vielen Verhandlungstagen dabei sein und soll sich ein Bild von dem 51-Jährigen machen, der bislang Gespräche mit dem Sachverständigen verweigerte. 

Dabei geht es vor allem um die Schuldfähigkeit des Angeklagten zum Tatzeitpunkt. Dem Angeklagten droht bei einer Verurteilung auch eine lebenslange Sicherungsverwahrung. 

Von Galileo Galilei, Hawking und Einstein

Vor Gericht sprach er ausschweifend über vermeintliche Vertuschungsaktionen von Polizeibehörden und Staatsanwaltschaften in Deutschland sowie Korruption. Der Angeklagte erwähnte Forscher wie Galileo Galilei, Stephen Hawking, Albert Einstein, schimpfte über deutsche Behörden und mangelnde Hilfe für saudische Frauen. Er habe aufklären und warnen wollen. Er habe Strafanzeigen gestellt und sei aber nicht gehört worden. Stattdessen wurde er selbst angezeigt, etwa weil er den Notruf 112 missbrauchte. 

Al-Abdulmohsen hatte sehr viel Kontakt zu verschiedenen Behörden und wurde als sogenannter Vielschreiber eingestuft, wie der parlamentarische Untersuchungsausschuss im Landtag herausgearbeitet hat.

Der Prozess läuft unter starken Sicherheitsvorkehrungen. Der Angeklagte wird jeweils mit einem Hubschrauber aus dem Gefängnis nach Magdeburg und dann in den temporären Gerichtssaal gebracht. Der Prozess wird an diesem Donnerstag fortgesetzt. Das Landgericht Magdeburg hat bislang knapp 50 Verhandlungstage bis zum 12. März 2026 geplant. 

Streit um diesjährigen Weihnachtsmarkt

Unterdessen gibt es Streit um den diesjährigen Magdeburger Weihnachtsmarkt. Oberbürgermeisterin Simone Borris (parteilos) teilte am Montagabend überraschend mit, dass es vorerst keine Genehmigung für den Weihnachtsmarkt geben werde. 

Hintergrund sei ein Schreiben des Landesverwaltungsamtes, in dem es Kritik am aktuellen Sicherheitskonzept gebe. In dem Schreiben, das der Deutschen Presse-Agentur vorliegt, werden unter anderem gravierende Mängel am Zufahrtsschutz und an der Organisation des Sicherheitspersonals genannt.

Von Dörthe Hein und Marion van der Kraats, dpa
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