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Ehrliche Worte von Cristina von den Vier von hier

​#metoo - Cristina Klee erzählt ihre Geschichte

Immer wieder ploppte die letzten Tage dieser Skandal aus Hollywood bei mir auf. Ob als Push-Nachricht auf meinem Smartphone, beim Fernsehen oder Online.

Zuerst habe ich nur kopfschüttelnd reagiert. Wer hat denn nicht schon von irgendwelchen mächtigen Männern gehört, die genau diese Macht auch missbrauchen? Und hey, Hand aufs Herz: Was haben wir hier mit den Reichen und Schönen aus Hollywood zu tun? Das ist doch sooooo weit entfernt… Dieser Skandal um sexuelle Belästigung… nicht mein Thema!

Ein Tag später: immer noch reden viele darüber… Dieser SKANDAL kommt näher… nach Deutschland, nach Baden-Württemberg, zu uns und zu mir nach Hause… direkt in meinen Kopf!

Eine alte Erinnerung

Auf einmal war sie wieder da… eine alte Erinnerung. Diese 15 Minuten, die ich bisher anscheinend völlig verdrängt habe. Ganz weit hinten und so tief wie möglich vergraben… Auf einmal war ich wieder Lehramtsstudentin. Deutsch und Englisch waren meine Fächer. In den Semesterferien als Model Geld verdient… ach Gott war ich stolz… meine Ausgaben alle selbst decken zu können. Wohnung, Studiengebühren, Versicherungen… alles mit dem selbstverdienten Geld bezahlt!

Auf einmal war ich wieder im Praxissemester. Auf einmal wieder an dieser Schule… drinnen… in diesem Zimmer mit ihm! Ich weiß noch, wie er mich in der kleinen Pause zwischen Tür und Angel angesprochen hatte. Er hätte was mit mir zu besprechen. Später! Klar willigte ich ein… dachte, es hätte vielleicht eine Beschwerde gegeben… aber was… wir hatten doch gar keine Berührungspunkte im Schulalltag. Wir hatten nicht mal dieselben Fächer.
"Wir harmonieren doch so gut..."

Der Geruch der Regale in diesem Zimmer, der Geruch all dieser Bücher im Regal. Und da war sie wieder… diese Bilderwand… Bilder von seinem Haus. Er hätte das alles selbst gemacht… die Wände abgerundet… sowie die Gaudi-Häuser in Barcelona. So fing er an: "Habe ich richtig mitbekommen, Sie mögen Barcelona? Schauen Sie… das ist mein Haus…" Zuerst war ich interessiert… aber mit jeder weiteren Sekunde verstand ich den Sinn dieser Unterhaltung nicht mehr. Und mit jedem weiteren Wort kam er mir näher... bis ich seinen Geruch wahrnehmen konnte.

Sie sind immer so fröhlich, Sie lächeln immer. Meine Frau ist weg… Ich möchte Sie einladen zu mir. Wir harmonieren doch so gut…

Das sind die Worte, die ich noch genau hören kann. Und ich weiß, ich fragte mich: Wie kann das sein? Warum? Was habe ich getan? Wir haben noch nie wirklich miteinander gesprochen, fast gar keine Berührungspunkte im Schulalltag gehabt… Wie kann das sein?

Ich bekam Angst

Ein Blick über die Schulter zur Tür. Verdammt, zu! Hat er sie verschlossen? Mir wurde schlecht und der kleine Raum wurde winzig. Gefangen in einem Mäuseloch, voller Bücher und komischer Fotos eines Hauses… mit einem Mann, der ein völlig gestörtes Bild von sich, von mir und von allem hatte. Ich bekam Angst, aber traute mich nicht unfreundlich zu werden. Warum? Weiß ich nicht!

Und auf einmal war sie da: die Hand auf meinem Oberschenkel und sein Arm um meine Schulter. Angewidert habe ich ihn weggestoßen, bin aufgestanden… aber was meine Lippen gemacht haben, verstehe ich bis heute nicht. Ich habe mich entschuldigt!

Heute denke ich, ich hatte Angst davor, was passieren würde, wenn ich ihn beleidigt hätte. Drei Schritte bis zur Tür… schnell… hoffentlich ist sie nicht vergeschlossen… unendlich große Schritte… unendliche drei Sekunden bis zur Tür. Bitte lass sie offen sein…

Die Tränen liefen

Und schon war ich draußen und rannte den Gang hinunter... schnell weg.. die Tränen liefen... und ich lief meiner Betreuerin entgegen... zum Glück eine Frau! Ja, es ist nichts wirklich passiert, ABER diese Angst in diesem Moment war für mich so real… so greifbar, was alles hätte passieren können. Diese Machtlosigkeit und vor allem gleich diese Schuldgefühle: Was habe ich falsch gemacht, dass dieser Mann glaubt, ich hätte irgendwie Interesse.

Sexuelle Belästigung passiert nicht nur weit weg von uns in Hollywood bei den Reichen und Schönen. Es ist überall, hier nebenan, hier im Büro, vor unseren Augen… vor meinen Augen!

#metoo