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Der Mannheimer Tierarzt Dr. Dr. Benjamin Berk im Interview

Tierkinder gefunden: Was nun?

Jetzt ist wieder die Zeit, in der viele heimische Wildtiere ihren Nachwuchs bekommen: Eichhörnchen, Hasen, Kaninchen, Füchse und natürlich die Vögel.

Ab und zu schlägt das Schicksal zu und die Kleinen sind plötzlich elternlos... Sie fallen aus dem Nest, die Eltern fallen Raubtieren zum Opfer oder werden vom Auto überfahren. Doch wie musst du dich verhalten, wenn du so ein hilfloses Geschöpf entdeckst? Der Mannheimer Tierarzt Dr. Dr. Benjamin Berk stand uns dazu Rede und Antwort.

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Eichhörnchen

Radio Regenbogen: Warum sind die kleinen Eichhörnchen so zutraulich?

Dr. Dr. Benjamin Berk: Eigentlich sind Eichhörnchen-Babys Nesthocker, sie gehen nicht aus ihrem Kobel raus. Am Anfang sich sie auch noch blind und abhängig davon, dass sie von der Mutter gefüttert werden. Wenn sie aber dann irgendwann neugierig über das Nest schauen, kann es passieren, dass sie aus dem Nest Fallen. Genauso kann da eine Baum-Fällung für sorgen. Allerdings werden die Kleinen auch schnell zu Opfern von tierischen Räubern. Sobald sie sich dann wo festkrallen könne, machen sie das. Das kann auch schon mal ein Mensch sein.

R: Glauben die dann, dass man die Mama ist?

B: Nein. In den meisten Fällen kommen da bei dem Menschen die Gefühle hoch, man will den süßen Tierchen helfen. Nicht jeder Nest-Plumser muss mit nach Hause genommen werden um es zu versorgen. Klärt erstmal ab: Wo könnte dieses Eichhörnchen hergekommen sein? Schaut ob ihr das Nest seht. Meistens reicht es schon, das Tierchen auf den Boden zu setzten und ein paar Schritte wegzugehen. Die Mutter sammelt es dann oft schnell wieder ein.

R: Und wenn nicht gleich die Mama kommt und das Nest zu weit oben ist? Kann man das süße Tierchen dann mit nach Hause nehmen?

B: Da muss man ein paar Dinge beachten: in welchem Zustand ist das Tier? Je kühler, je weniger aktiv, verletzt, nicht richtig reagierend, in der Seitenlage – desto eher muss man sich fragen, wie lange das Tier da schon liegen kann. Ist die Mutter vielleicht schon tot? Liegen vielleicht in der Nähe noch andere Eichhörnchen-Babys? Es werden immer zwischen vier und sechs Babys pro Wurf geboren. Wenn davon einige Dinge zutreffen, würde ich auch sagen: Nehmen Sie es mit nach Hause. Für den Heimweg das Tier am besten in die Brusttasche setzen. Die Körperwärme ist super wichtig. Zuhause legt man es am besten in ein Körbchen an einem leicht abgedunkelten Bereich. Dann kann man es langsam aufpäppeln.

R: Wie päppeln wir das Eichhörnchen dann am besten auf?

B: Das ist bei Wildtieren immer etwas schwierig. Am besten holt man sich Hilfe beim NABU oder beim Eichhörnchen-Notruf. Mein persönliches Rezept ist 100 ml Wasser, dazu ein Teelöffel Traubenzucker und eine Prise Salz. Dann hat man eine gute Mischung aus etwas Energie, Elektrolyte (also Salze) und kann das immer mal in die Backe träufeln. Damit hilft man dem Flüssigkeitshaushalt des Tiers schon mal.

R: Kuhmilch ist also eher keine gute Idee?

B: Nein, Kuhmilch ist für Tierbabys keine gute Idee. Jedes Kind kriegt von der Mutter Anti-Körper und Bakterien über die Muttermilch. Es ist also wichtig, möglichst nah an die eigentliche Muttermilch von Eichhörnchen ranzukommen. Da kommen dann eben die Organisationen ins Spiel. Das Tier soll ja möglichst schnell groß und gesund werden, es soll ja auch schnell wieder ausgewildert werden.

R: Wann ist denn der richtige Zeitpunkt für eine Auswilderung?

B: Eigentlich sollte man so früh wie möglich anfangen. Klar, das Tier ist süß aber es ist immer noch ein Wildtier. Nach 30 Tagen machen sie meistens die Augen auf, nach 40 Tagen sieht man schon zähen. Spätestens dann sollte man sich distanzieren. Deswegen: beim Füttern die Hand verdecken, es mit der Zeit immer weniger am Körper tragen. Dann kann man sie gemeinsam mit der Tierschutzorganisation auswildern und hat gute Chancen auf Erfolg.

R: Gibt es denn auch Stationen, wo ich das Eichhörnchen abgeben kann, wenn ich es finde aber keine Zeit habe, mich um es zu kümmern?

B: Ja, da gibt es einige in der Region. Wichtig ist, dass man dort man anruft, bevor man das Tier abgibt. Man hat es zwar nur kurz aufgenommen, aber eine gewisse Fürsorgepflicht hat man trotzdem. Also man muss sich auch damit wohlfühlen, es dorthin zu geben. Sonst sollte man lieber noch eine andere Alternative suchen.
 
Füchse

R: Wie verhält man sich, wenn man am Straßenrand ein Fuchsbaby findet?

B: Die sind eine komplizierte Sache. Rechtlich dürfen Tierärzte keine Wildtiere in ihrer Praxis behandeln. Da geht es um die mögliche Übertragung von Infektionskrankheiten wie Tollwut und Seuchen, denen Haustiere sonst nicht ausgesetzt wären. Also immer lieber mit der zuständigen Tierschutzorganisation in der Region und am besten auch mit dem Jäger in Kontakt treten. Der zuständige Förster ist auch jemand, der laut Tierschutz- und Jagdrecht das Tier anfassen darf und dann zur Auffangstation bringen kann.

R: Gibt es denn Tipps, wenn man ein stark verletztes Tier am Straßenrand findet?

B: Wenn man ein Tier durchnässt, blutend oder hilflos neben der toten Mutter am Straßenrand sieht, dann sollte man schon erste Hilfe leisten. Also immer Handschuhe im Auto haben um sich nicht selbst zu gefährden. Das Tier kann man dann in eine Decke wickeln und im Ernstfall auch zum Tierarzt bringen, der hat sehr wahrscheinlich die Nummern von zuständigen Stationen.

Igel

R: Ein super geläufiger Fund ist ja der Igel. Was macht man da?

B: Beim Igel gibt es zweimal im Jahr Junge. Die kommen mit ganz weichen Stacheln und blind und taub auf die Welt. Allerdings werden Igel so lange im Nest gesäugt, bis ihre Stacheln härter sind und sie Härchen haben, die sie warm halten. Wenn man also einen kleinen Igel sieht, bedeutet das nicht, dass er bedürftig ist und man ihn versorgen muss. Wenn er auch eine Verletzung hat, dann sollte man handeln. Sonst bedeutet das nur, dass es ein kleiner Igel im Wachstum ist. Igel sind wahre Parasiten-Bungalows und können da eine Menge ab. Sobald da eine Grenze überschritten ist, sieht man dem Igel aber auch an, dass er krank ist. Meistens laufen sie dann komisch oder haben die sogenannte „Hungerfalte“. Das heißt, im Nacken entsteht eine Falte und der Igel ist untergewichtig.

R: Beim Aufpäppeln: Igel + Milch = gut?

B: Das kann man so nicht sagen. Für einen ausgewachsenen Igel ist Milch sehr schlecht für den Verdauungstrakt. Man kriegt gutes Igelfutter in Zoofachhandlungen in dem dann auch Zusätze sind, um viele Nährstoffe zu geben. Oder man kauft im Anglergeschäft Regenwürmer. Dabei sollte es dann aber auch bleiben, Insektenmaden sind zu fetthaltig als dass sie dem Igel guttun. Die sind quasi wie Schokolade. Als Flüssigkeit ist Wasser das Richtige.
 
Vögel

R: Stimmt es, dass man Vögel nicht aufheben soll, weil sie dann nach Mensch riechen und nicht mehr angenommen werden?

B: Das ist eine Halbwahrheit. Es stört nicht jeden Vogel, aber generell ist es besser, den Vogel mit etwas Küchenpapier aufzunehmen. Dann verhindert man, dass die Vogelmutter das Kind wegen dem Geruch nicht mehr annimmt und kann es leicht mit den Händen wärmen. Bei ganz kleinen Vögeln ohne Federn ist es wahrscheinlicher, dass sie Gerüche annehmen. Es gibt aber keine wissenschaftlichen Beweise dafür. Allerdings ist aber nicht jeder Vogel hilfsbedürftig, der auf dem Boden liegt. Da unterscheidet man zwischen Nestlingen und Ästlingen. Ein Nestling ist der kleinere Vogel, der eigentlich noch nicht aus dem Nest rauskommt. Denen sollte man immer helfen, weil sie selbst hilflos sind. Ästlinge sind die Vögel, die fliegen lernen und deswegen oft am Boden rumhüpfen. Da sind sie super anfällig für Angriffe durch Räuber, aber da muss der Vogel durch. Man sollte seinen Kindern also beibringen, zu gucken, ob der Vogel schon Federn hat. Wenn er keine hat, sollen sie die Tiere nur mit Küchenpapier oder einem Taschentuch anfassen.

R: Muss ich das Futter für das Vögelchen denn selbst pürieren?

B: Nein, das kann man machen, aber es gibt da viele Angebote für Singvögel im Geschäft mit denen man auch die Kleinsten aufpäppeln kann.

Hasen / Kaninchen 

R: Es gibt ja aber auch Tiere, die wild geboren werden und dann ohne Mama und Papa auskommen müssen. Was macht man dann mit so einem Kaninchen oder Hasen?

B: Bei Feldkaninchen und –hasen gibt es einen riesen Unterscheid. Hasen kommen fertig, also bloß kleiner als ausgewachsene Hasen auf die Welt. Sie brauchen die Muttermilch um zu wachsen, sind aber sonst Nestflüchter. Kaninchen hingegen werden blind und nackt geboren und sind Nesthocker. Wenn man ein Kaninchen sieht, dass die Augen offen hat und Fell hat, ist es schon voll selbstständig. Man kann sie gut unterscheiden: Feldhasen haben oft einen weißen Punkt auf der Nase und einen schwarzen Punkt hinter dem Ohr. Kaninchen haben das wolligere Fell, Hasen das fluffigere. Bei Feldhasen kommt die Mutter zweimal am Tag vorbei um ihn zu versorgen. Wenn man also einen Hasen sieht und sich unsicher ist, ob er noch versorgt wird, kann man das mal etwa 24 Stunden beobachten. Wenn man in der Zeit keinen erwachsenen Hasen sieht, dann kann man ihn aufsammeln. Oft passiert das bei der Landwirtschaft, dass das Muttertier aus Versehen getötet wird und das Häschen alleine zurück bleibt. Dann kann man es schon mitnehmen, aber im besten Fall auch wieder nach einer Auffangstation suchen, die sich damit auskennt.

R: Gibt es da unterschiedliche Stationen für die unterschiedlichen Tiere?

B: Es gibt viele spezialisierte Auffangstationen in der Region, aber auch viele große Tierschutzorganisationen, die alle unterschiedlichen Tiere aufnehmen.

R: Müssen Tierärzte die Kosten übernehmen, wenn sie ein Tier aufnehmen?

B: Das Gerücht hält sich hartnäckig, aber es zahlt der, der die Leistung in Anspruch nimmt. Allerdings gucken viele Tierärzte, wie sie auch ohne große Kosten erste Hilfe leisten können.

Der komplette Beitrag zum Nachhören:

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