Was Sie (vielleicht) noch nicht über Wildunfälle wussten
Jede 90 Sekunden stirbt in Deutschland ein größeres Wildtier durch den Straßenverkehr. Warum Ausweichen bei Wildunfällen auch in Baden-Württemberg oft gefährlich ist und was Experten raten.
Jede 90 Sekunden stirbt in Deutschland ein größeres Wildtier durch den Straßenverkehr. Warum Ausweichen bei Wildunfällen auch in Baden-Württemberg oft gefährlich ist und was Experten raten.
Wenn Nebel über die Felder kriecht und die Straßen früher im Dunkel liegen, werden Baden-Württembergs Straßen für viele Wildtiere zum gefährlichsten Ort ihres Reviers. Immer mehr Rehe, Wildschweine, Füchse, Wildkatzen – und inzwischen sogar Wölfe – geraten vor Autos und verenden.
Je häufiger das passiert, desto öfter sind auch Menschen betroffen. Eine einfache Lösung? Nicht in Sicht. Hier kommen acht Fakten, die vielleicht überraschen:
Alle 20 Minuten wird ein Tier angefahren
Kaum hat man einmal Kaffee gekocht, ist wieder ein Tier Opfer des Verkehrs geworden. Alle 20 Minuten wird in Baden-Württemberg ein größeres Säugetier erfasst – meist Rehe oder Wildschweine. Fachleute gehen von einer mindestens fünfmal höheren Dunkelziffer aus; kleinere Tiere verschwinden oft ungesehen.
Auch Menschen bleiben nicht verschont: Bei 203 Wildunfällen wurden im vergangenen Jahr 231 Menschen verletzt, bundesweit starben acht. Im ersten Halbjahr dieses Jahres stieg die Zahl der Unfälle mit Personenschaden um 9,9 Prozent auf 122, wie das Statistische Landesamt meldet.
Ein Monat ist der «Crash-Monat»
Der Juli war im vergangenen Jahr der Monat mit den meisten Wildunfällen, dicht gefolgt von Juni, August, September und November. Selbst im Zehnjahresvergleich ragt der Juli laut Statistik heraus – obwohl jedes Jahr aufs Neue gewarnt wird.
Andere Experten warnen jedoch vor April, Mai sowie Oktober bis Dezember. «Im Frühjahr sind die Tiere durch die Suche nach geeigneten Lebensräumen oder durch die Paarungszeit aktiver und legen größere Wegstrecken zurück. Damit steigt auch die Anzahl an Straßenquerungen», erklärt Falko Brieger von der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt (FVA) Baden-Württemberg. Im Herbst seien zudem viele Pendler in der Dämmerung unterwegs – eine gefährliche Kombination.
Das Wild kommt in die Ortschaften
Lange galten Ortschaften als relativ sicher. Zwischen 1985 und 2004 passierten dort weniger als fünf Prozent aller Wildunfälle. Heute ereignet sich bereits jeder zehnte innerorts.
Mehr als die Hälfte aller Wildunfälle werden auf Landes- und Kreisstraßen (64 Prozent) registriert – auf Bundesstraßen und Autobahnen dagegen deutlich seltener (13,8).
Auch Wölfe werden überfahren
Nicht nur Rehe und Hirsche verlieren ihr Leben im Verkehr. Laut Wildtierportal sind rund ein Dutzend Arten an Unfällen beteiligt – von Wildschweinen über Füchse bis Dachse. Auch Wildkatzen, Luchse und gelegentlich Wölfe werden überfahren. Dazu kommen zahlreiche Hunde und Katzen.
Wild mitnehmen? Bloß nicht
Was viele nicht wissen: Ein totes Tier vom Straßenrand mitzunehmen gilt als Wilderei – und zusätzlich als Verstoß gegen das Tierschutzgesetz.
Wer ein Tier anfährt, sollte: Warnweste anziehen, Warndreieck aufstellen, die Polizei rufen und warten, bis der zuständige Jäger eintrifft.
Milliardenschaden durch Wildunfälle
Wildunfälle sind nicht nur tragisch, sondern auch teuer. 2024 mussten Versicherer bundesweit rund 1,1 Milliarden Euro für 276.000 Wildunfälle zahlen. Im Schnitt kostete jeder Unfall 4.100 Euro – ein Plus um 250 Euro gegenüber 2023. Grund seien gestiegene Ersatzteilpreise und höhere Werkstattkosten, teilte der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) mit.
Hier knallt's besonders oft
Am häufigsten kracht es in den Landkreisen Ravensburg, Sigmaringen und dem Rhein-Neckar-Kreis, wie die FVA in einer Studie untersucht hat. Rechnet man allerdings die Fläche dazu, liegt der Bodenseekreis vorn, gefolgt vom Rhein-Neckar-Kreis und Sigmaringen.
Ausweichen ist keine gute Idee
Statt hektisch auszuweichen, empfehlen Experten zu bremsen und das Auto stabil zu halten. Unfallforscher der Björn-Steiger-Stiftung bestätigen: Viele schwere Unfälle entstehen erst durch einen falschen Instinkt – beim Überschlag oder beim Crash gegen ein Hindernis.
«Auf ein Reh draufzuhalten, erfordert Überwindung», sagt Studienautor Siegfried Brockmann. Für die eigene Sicherheit sei es aber entscheidend. Fahrschulen sollten solche Situationen thematisieren und üben.
Schilder helfen kaum – Technik schon eher
Wildwechselschilder, Reflektoren und Tempolimits gelten unter Experten als praktisch, aber wenig wirksam. Entscheidender seien Randbedingungen wie Böschungen, dichter Bewuchs, Gräben oder Bäume am Straßenrand. Leitplanken könnten das Risiko für Autofahrer etwas mindern.
«Infrarotsensoren können Wild auch hinter Büschen erkennen und die Fahrer warnen. Noch besser wäre es, wenn sie mit dem Notbremssystem gekoppelt wären», fordert Brockmann. Vier von fünf schweren Unfällen passieren bei Dämmerung oder Dunkelheit.
In zwei Pilotregionen – Enzkreis und Bodenseekreis – werden derzeit laut Wildportal alternative Warnsysteme getestet, darunter großformatige Hinweistafeln und Tempolimits.
Abstand halten – dem Tier zuliebe
Verletzte Tiere sind gestresst und können gefährlich reagieren. Polizei und Jagdverband raten daher Abstand zu wahren. «Gleichzeitig sorgt die Beruhigung dafür, dass das Tier nicht wegläuft und der Jäger oder die Jägerin das Tier von seinen Schmerzen erlösen kann», heißt es im Wildtierportal.
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