Werden Kita-Plätze zum Luxus-Gut?
Erst gab es zu wenig und jetzt sind sie für viele kaum noch erschwinglich: Für einen Kita-Platz zahlen Eltern in Baden-Württemberg mancherorts 800 Euro im Monat und mehr. Wo soll das hinführen?
Erst gab es zu wenig und jetzt sind sie für viele kaum noch erschwinglich: Für einen Kita-Platz zahlen Eltern in Baden-Württemberg mancherorts 800 Euro im Monat und mehr. Wo soll das hinführen?
Wo fängt Bildung an? Fängt sie schon im Kindergarten an? Aber was ist, wenn der Kindergarten zum Luxus-Gut wird, unbezahlbar auch für Normalverdiener? In Baden-Württemberg ist das aus Sicht von Elternvertretern längst ein Teil der Realität.
In Städten und Gemeinden zahlen Eltern für einen Ganztages-Krippenplatz inzwischen mehr als 600, 800 oder 1.000 Euro. Oft entscheidet die Postleitzahl darüber, ob man sich die Betreuung überhaupt leisten kann. Denn die Preise unterscheiden sich von Kommune zu Kommune.
Die Summe frisst das zweite Einkommen auf. Und so entscheidet nicht mehr nur das Lebensmodell, ob ein Elternteil Zuhause bleibt – es ist oft die finanzielle Notwendigkeit. Die Folge: Vor allem Mütter steigen aus dem Beruf aus. «Wir klauen uns durch diese hohen Beiträge auch die Fachkräfte», warnt Anna Radermacher, Sprecherin des Landeselternbeirats für Kindertagesbetreuung (LEBK). Und das in einem Bundesland, das händeringend Fachkräfte suche.
Die Gebühren steigen – und mit ihnen der Frust
In Stuttgart könnten die Beiträge für Ganztagesplätze bald deutlich erhöht werden. Um wie viel genau steht einem Sprecher zufolge noch nicht fest. Die Stadt hat seit Jahren nicht an der Preisschraube gedreht, doch die aktuelle Finanzlage macht es nötig. Damit würde ein Vollzeit-Krippenplatz in der Landeshauptstadt bald mehr als 800 Euro kosten.
In Karlsruhe denkt man darüber nach, den Geschwisterbonus zu streichen. In manchen Städten halten bislang große Stiftungen das System still – aber auch dort wird die Luft dünner - so wie in Friedrichshafen, wo die ZF-Stiftung rund um den gleichnamigen Autozulieferer die Plätze bezahlbar machte, jetzt aber nicht mehr in der Form einspringen kann. Deshalb könnten auch am Bodensee bald mehr als 800 Euro pro Kind fällig sein.
«Eltern berichten, dass sie am Limit sind», sagt Radermacher. Aber die Energie, zu demonstrieren, fehle – weil sie zwischen Job, Kind und Logistik zerrieben würden. «Man rennt nur noch von A nach B.» Leute zu mobilisieren sei sehr schwierig.
Und das Land?
Dass Kita-Gebühren in Baden-Württemberg so stark schwanken, liegt auch an der Gesetzeslage: Jede Kommune kann selbst entscheiden, wie viel sie verlangt. Der Flickenteppich ist dabei also kein Nebeneffekt, sondern Teil des Systems.
Zwar existiert ein sogenannter Landesrichtsatz – empfohlen sind Elternbeiträge in Höhe von 20 Prozent der Gesamtkosten – doch dieser ist rechtlich unverbindlich. Was genau in diesen 20 Prozent steckt, bleibt schwammig. Manche Kommunen rechnen Verpflegung ein, andere nicht. Einige bieten lange Öffnungszeiten, andere kürzen am Personal.
Beitragsfreie Kitas bleiben Wunschdenken
Ein Antrag der SPD auf gebührenfreie Kitas ist im Landtag zuletzt gescheitert. Die grün-schwarze Regierung verweist auf die Zuständigkeit der Kommunen. SPD-Landeschef Andreas Stoch sagt: «Es ist nicht schwer, die Kita-Gebühren abzuschaffen – es ist nur eine Frage des politischen Willens.» Doch dieser scheint zu fehlen – nicht zuletzt aus Sicht des LEBK, weil Kinder keine Wählerstimmen bringen.
Die Konsequenzen betreffen nicht nur die Gegenwart, sondern auch die Zukunft: Ein Rentensystem ohne Kinder funktioniert nicht. Eine Wirtschaft ohne gebildeten Nachwuchs ebenso wenig. Trotzdem, so die Analyse des LEBK, wird frühkindliche Bildung in Baden-Württemberg traditionell eher als Privatsache gesehen. Das Land bildet bundesweit das Schlusslicht bei der U3-Betreuung – gerade mal 30 Prozent Abdeckung. Historisch gewachsen, nennen das manche. Politisch konservativ, sagen andere.
Das Kultusministerium verwies auf Investitionen. Allein 2025 fließen laut einem Sprecher voraussichtlich rund 1,45 Milliarden Euro in die Betriebskostenförderung der Kleinkindbetreuung. Zusätzlich gibt es fast 926 Millionen Euro zur Entlastung der Kommunen.
Wirtschaftlicher Nutzen ist belegt
Studien zeigen, dass Investitionen in frühe Bildung Renditen von bis zu zehn Prozent erzielen – in Form von besserer Bildung, geringeren Folgekosten und höherer Teilhabe. «Gebührenfreiheit ist kein Luxus, sondern eine Frage der Generationengerechtigkeit», heißt es in der aktuellen Stellungnahme des LEBK.
Der Beirat fordert ein landesweites Sofortprogramm. Die angekündigten Beitragserhöhungen sollen durch das Land abgefangen werden, insgesamt rund 60 Millionen Euro. Dafür wurde nun eine Petition gestartet. «Unser großes Anliegen ist eine überparteiliche Allianz, die alle an einen Tisch bringt - nicht nur Parteien, sondern auch Kommunen und Träger sowie Eltern -, damit nach Lösungen gesucht werden kann», so Radermacher.
Gleichzeitig müsse die Kita-Finanzierung von der kommunalen Ebene schrittweise auf die Landesebene überführt werden – wie es bei Schulen längst der Fall ist. Nur so lasse sich das strukturelle Ungleichgewicht beheben.
Von Aleksandra Bakmaz, dpa
© dpa-infocom, dpa:251107-930-260788/4
Copyright 2025, dpa (www.dpa.de). Alle Rechte vorbehalten