«Ich lese oft über mich, dass ich in den 90ern eine verlorene Zeit hatte», sagte der 75-Jährige dem «Rolling Stone». «Nicht wirklich. Ich habe tatsächlich permanent gearbeitet.» Das Boxset beweist es. Fünf der enthaltenen Alben stammen aus dem Jahrzehnt.
Die «Streets Of Philadelphia Sessions» sind zehn melancholische Popsongs mit Drumloops und Synthesizern. «Diese Mischung erzeugt einen düsteren, träumerischen Sound», sagte Springsteen in dem Interview, «und davon gibt es auf dem Album eine ganze Menge.» Warum es trotz wunderbarer Tracks wie «Waiting On The End Of The World» nicht rauskam? «Ich hatte das Gefühl, es wäre der falsche Zeitpunkt.»
Ein Soundtrack, ein Country-Album und Mariachi-Klänge
Bei «Faithless» handelt es sich um den Soundtrack für einen Western, der letztlich nie gedreht wurde - eine atmosphärische Mischung aus Country, Folk und Rock mit zwei sehr atmosphärischen Instrumental-Stücken. Das stampfende «All God's Children» mit Gospel-Einflüssen erinnert dank des fast brachialen Gesangs an Tom Waits. Seine Frau Patti Scialfa habe ihn gedrängt, das Album zu veröffentlichen, sagte Springsteen.
«Somewhere North Of Nashville» ist ein launiges Country-Album mit Pedal-Steel-Gitarren. Mit welcher Leichtigkeit sich Springsteen der Country-Musik - nur zum Spaß - annimmt, ist faszinierend. Ursprünglich war es als Doppel-Album mit dem vergleichsweise düsteren «The Ghost Of Tom Joad» geplant, doch es habe nicht gepasst, so Springsteen. Anspieltipps: «Repo Man» und «Blue Highway».
«Inyo» wiederum ist ein Portrait der kalifornischen Wüste mit ihren Grenzstädten, sandigen Straßen und ausgetrockneten Wasserkanälen. Die Lieder heißen «Adelita», «The Lost Charro» oder «The Aztec Dance». Neben Springsteens Stimme und seiner Akustikgitarre sind Elemente mexikanischer Mariachi-Musik mit Trompeten und Geigen zu hören.
Ein Begleitwerk zu «Western Stars» und ein Album, das keins ist
Wer Springsteens Album «Western Stars» mag, darf sich freuen, dass es mit dem zeitgleich aufgenommenen «Twilight Hours» eine weitere Platte dieser Art gibt. Doch während es sich bei den Songs auf «Western Stars» fast ausschließlich um Coverversionen handelte, enthält «Twilight Hours» nur Eigenkompositionen. Wüsste man es nicht besser, könnte man meinen, es handle sich um Klassiker der 50er und 60er von Andy Williams oder Glen Campbell.
Kein zusammenhängendes Werk, sondern eine Sammlung einzelner Rocksongs ist «Perfect World» - eine weitere Schatztruhe. «Es ist das einzige Teil hier, was nicht ursprünglich als eigenständiges Album gedacht war», gab Springsteen zu. «Ich wollte einfach nur ein bisschen Spaß, Lärm und Rock 'n' Roll, um das Gesamtpaket abzurunden.» Ein Höhepunkt ist hier die wunderbare Hymne «Cutting Knife».
Ein überwältigendes Werk aus der Schublade
Kann dieser Mann überhaupt schlechte Songs schreiben? Zweifel daran sind angebracht. Fraglos wären viele Künstler froh, wenn sie nur ein oder zwei dieser Lieder geschrieben oder zumindest aufgenommen hätten. Bruce Springsteen konnte es sich erlauben, sie einfach links liegenzulassen. Umso erfreulicher, dass er es sich jetzt anders überlegt hat.
«Tracks II: The Lost Albums» ist ein überwältigendes Werk, eine spannende musikalische Entdeckungsreise auf bislang kaum bekanntem Springsteen-Territorium, die einmal mehr seine musikalische Genialität und Integrität offenbart.
Von Philip Dethlefs, dpa
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