Schlag gegen «Tiktok-Islamisten» von Muslim Interaktiv
Forderungen nach einem Kalifat, Israel-Feindlichkeit, Verachtung für Frauen und Minderheiten: Die Gruppe Muslim Interaktiv will im Netz vor allem junge Muslime ansprechen. Nun ist sie verboten.
Forderungen nach einem Kalifat, Israel-Feindlichkeit, Verachtung für Frauen und Minderheiten: Die Gruppe Muslim Interaktiv will im Netz vor allem junge Muslime ansprechen. Nun ist sie verboten.
Bundesinnenminister Alexander Dobrindt hat den islamistischen Verein Muslim Interaktiv verboten. Der Verein spreche Israel das Existenzrecht ab, fordere die Einführung eines Kalifats und wolle die Gesellschaft spalten, erklärte der CSU-Politiker in Berlin. Damit verstoße er gegen die verfassungsmäßige Ordnung und gegen die Völkerverständigung.
Zudem würden gegen die Vereine Generation Islam und Realität Islam vereinsrechtliche Ermittlungen geführt. Im Zusammenhang mit dem Verbot und den Ermittlungen kam es am Morgen in Hamburg, Berlin und Hessen zu Durchsuchungen. Dabei seien Bargeld, Datenträger und handschriftliche Notizen sichergestellt worden. Zahlreiche Polizeikräfte waren im Einsatz.
«Verfassungsfeindliche Grundhaltung»
«Wer auf unseren Straßen aggressiv das Kalifat fordert, in unerträglicher Weise gegen den Staat Israel und Juden hetzt und die Rechte von Frauen und Minderheiten verachtet, dem begegnen wir mit aller rechtsstaatlichen Härte», erklärte Dobrindt. «Wir lassen nicht zu, dass Organisationen wie Muslim Interaktiv mit ihrem Hass unsere freie Gesellschaft zersetzen, unsere Demokratie verachten und unser Land von innen heraus angreifen.»
Hamburgs Innensenator Andy Grote bezeichnete das Verbot als Schlag gegen «den modernen Tiktok-Islamismus». «Mit dem heute vollstreckten Verbot von Muslim Interaktiv haben unsere Sicherheitsbehörden eine gefährliche und sehr aktive islamistische Gruppierung ausgeschaltet», sagte der SPD-Politiker. Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) erklärte, die in Hamburg gesammelten Erkenntnisse hätten maßgeblich dazu beigetragen, «ein bundesweites Verbot zu ermöglichen».
Die freie Religionsausübung sei ein hohes Gut des Grundgesetzes, sagte Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD). «Grenzen sind aber dann erreicht, wenn die Art und Weise der Religionsausübung zu einer Ablehnung des deutschen Rechtsstaats und der Demokratie, zu Hass gegen Juden und zu einer Befürwortung von Gewalt gegen andere Menschen führt.»
Islam als alleiniges gesellschaftliches Ordnungsmodell
Muslim Interaktiv lehne das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip ab und weise damit eine verfassungsfeindliche Grundhaltung auf, heißt es der Mittelung des Bundesinnenministeriums. Der Verein verstoße gegen den Gedanken der Völkerverständigung, indem er das Existenzrecht Israels bestreite. Er werde aufgelöst und sein Vermögen beschlagnahmt.
Der Islam solle aus Sicht des Vereins als alleiniges gesellschaftliches Ordnungsmodell dienen und islamisches Leben staatlichen Entscheidungen vollständig entzogen sein. Die demokratische Gesellschaft werde dagegen als «Wertediktatur» bezeichnet.
Propaganda in sozialen Medien und Aktionen in der realen Welt
Darüber hinaus missachtet Muslim Interaktiv nach Angaben des Ministeriums die Menschenrechte. Die Gruppe richte sich insbesondere gegen die Gleichberechtigung der Geschlechter sowie gegen die Freiheit hinsichtlich sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität.
Durch die massive Nutzung sozialer Medien und «Performances» in der realen Welt sollten eine «möglichst große Gruppe von Menschen indoktriniert und so beständig Verfassungsfeinde geschaffen werden, um die verfassungsmäßige Ordnung fortlaufend zu untergraben», hieß es.
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) begrüßte das Verbot. «Das Abschalten der Social Media Accounts und die Beschlagnahme des Vereinsvermögens wird nachhaltig Wirkung in Deutschland zeigen», sagte der Bundesvorsitzende Jochen Kopelke.
«Jetzt muss der nächste Schritt folgen», sagte der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wend. «Wer hier ein Kalifat fordert, hat in Deutschland nichts verloren.» Er forderte eine Überprüfung des Aufenthaltsstatus der Vereinsmitglieder, um gegebenenfalls «den Aufenthalt dieser aggressiven Islamisten beenden zu können».
Weitere Ermittlungen
Generation Islam und Realität Islam seien dringend verdächtig, die gleichen Verbotsgründe zu verwirklichen wie Muslim Interaktiv oder dessen Teilorganisationen zu sein, so das Innenministerium.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz sieht bei allen drei Vereinigungen eine ideologische Nähe zur Islamisten-Gruppierung «Hizb ut-Tahrir», für die in Deutschland seit 2003 ein Betätigungsverbot gilt. Dem dschihadistischen Spektrum werden die Gruppen nicht zugeordnet.
Die Gruppe Muslim Interaktiv sei «mit ihrer an der Popkultur orientierten Aufmachung und ihrem professionellen Auftritt in den sozialen Medien vor allem für Jugendliche attraktiv», heißt es auch im Verfassungsschutzbericht 2024.
Zielgruppe junge Muslime
Alle drei Gruppen nutzten sehr gezielt soziale Medien - besonders Tiktok - für ihre ideologischen Zwecke, sagte auch die Geschäftsführerin der Bundesarbeitsgemeinschaft religiös begründeter Extremismus, Jamuna Oehlmann, der dpa. «Sie produzieren professionelle Videos und begleiten ihre Aktionen über die sozialen Medien.»
Muslim Interaktiv trete dabei deutlich «aktivistischer und jünger» auf als die beiden anderen Vereine. «In Stil, Kleidung und Auftreten sind sie deutlich näher an Popkultur und aktuellen Social-Media-Trends», sagte Oehlmann. Alle drei wollten jungen Muslime vermitteln, in Deutschland und Europa nicht zugehörig oder erwünscht zu sein.
Mit dem Verbot wurden laut Innenministerium die Plattformbetreiber zur Sperrung der relevanten Accounts von Muslim Interaktiv aufgefordert. Auf Instagram verschwanden im Laufe des Vormittags fast entsprechend alle gekennzeichneten Accounts oder die darin enthaltenen Inhalte.
Von Martina Herzog, Martin Fischer und Anne-Béatrice Clasmann, dpa
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