Angstgegner Italien? Dieser Alptraum scheint endlich im deutschen Fußball-Museum zu verschwinden. Nach dem großen Comeback-Sieg mit einem imponierend vorangehenden Rückkehrer Leon Goretzka beim 2:1 (0:1) in der Mailänder Fußball-Kathedrale San Siro versagten sich Julian Nagelsmann und seine Hinspiel-Heroen aber Übermut und vorlaute Töne.
Noch in der Nacht lenkte der Bundestrainer mit ramponierter Stimme den Fokus auf Teil II des Viertelfinal-Klassikers der beiden viermaligen Weltmeister am Sonntag (20.45 Uhr/RTL) an einem für die DFB-Auswahl magischen Ort. «Unser Job ist, auch das zweite Spiel zu gewinnen. Wir haben viele Fans in Dortmund. Und das Stadion ist auch richtig laut. Wir freuen uns total», sagte Nagelsmann.
Er erinnerte auch gleich nochmal an das vom Publikum getragene 2:0 gegen Dänemark in «einem verrückten» Blitz-und-Donner-Spiel bei der Heim-EM 2024. Stand jetzt wären diese Dänen bei Halbzeit des Viertelfinales nach einem 1:0 daheim gegen Portugal auch der Gegner im Nations-League-Halbfinale.
Völler rühmt «sehr wichtige Erfahrung»
Das Final-Four-Turnier - noch dazu als Gastgeber in München und Stuttgart - funkelt seit Donnerstagabend strahlend hell am Horizont. «Nach Rückstand noch gegen eine große Nation zu gewinnen, ist eine sehr wichtige Erfahrung», sagte der frühere Wahl-Römer und DFB-Sportdirektor Rudi Völler voller Stolz. Die Mailänder Nacht war ein weiterer Meilenstein auf dem Wachstumsweg der von Nagelsmann reanimierten Nationalmannschaft zur WM 2026.
«Noch geht's», krächzte Nagelsmann ins Mikrofon, als er im antiken Presseraum des legendären Giuseppe-Meazza-Stadions ein Spiel analysierte, in dem erst vieles nicht passte und am Ende nahezu alles. Auch seine Stimme hatte in den wechselhaften 90 Minuten plus Nachspielzeit arg gelitten. Superjoker Tim Kleindienst und der alle anderen überragende Siegtorschütze Goretzka drehten mit ihren Kopfbällen nach dem frühen 0:1 durch Sandro Tonali die Partie.
Goretzkas «ganz runde Geschichte»
Goretzka sprach von «einer ganz runden Geschichte», fürs Team und für sich selbst. Dass es der erste DFB-Erfolg seit 39 Jahren in Italien gegen Italien war, erklärte Nagelsmann eher zu einer historischen Randnotiz. «Ich kannte den Fakt. Aber das Allerwichtigste ist, dass wir jetzt gewonnen haben.»
Als ihn ein italienischer Reporter fragte, was das Resultat für das Rückspiel in der ausverkauften BVB-Arena bedeute, sprach Nagelsmann mit vornehmem Understatement von «einem gefährlichen Resultat. Wir sind nur ein Tor vorne.»
«Dann müssen wir nicht rumrechnen»
Aber natürlich ist das 2:1 eine Mega-Vorlage für den Dortmunder K.o.-Abend. Mehr als die Hälfte des Weges ins Final Four scheint zurückgelegt. «Aus Trainersicht würde ich jetzt 50 Prozent sagen, weil es eins von zwei Spielen war», sagte Nagelsmann zwar, fuhr dann aber fort: «Wenn man jetzt einen Mathematiker fragt oder einen, der Wahrscheinlichkeiten berechnet, würde der sagen: was ist das für ein Quatsch!» Natürlich heißt es Vorteil Deutschland.
Die Herangehensweise fürs Rückspiel gab der Bundestrainer noch vor der Rückreise am Freitag nach Regeneration und Training für die Ersatzspieler noch in Mailand vor. «Wir tun alle gut daran, so ins Rückspiel zu starten, wie es dann auch steht, nämlich 0:0. Wir müssen versuchen, das Spiel zu gewinnen. Dann müssen wir nicht rumrechnen.» Einen Zitter-Abend soll es nicht geben.
Der nächste Entwicklungsschritt
Nagelsmann erlebte in San Siro einen weiteren Entwicklungsschritt seiner Mannschaft. Er sprach von «einer neuen Stärke», nach dem frühen 0:1 ruhig geblieben zu sein und «nicht komplett wegzubrechen». Auch er entwickelt sich als Trainer stetig weiter. Die Anpassungen zur Pause mit Nico Schlotterbeck und dem sofort zündenden Joker Kleindienst als Gamechanger saßen.
«Du brauchst Spieler, die Bock haben, auch reinzukommen und ein Spiel verändern zu wollen», lobte er die Power von der Bank: «Schlotti hat ein Superspiel gemacht. Und Tim hat das gemacht, was er machen muss, ein Tor.»
Baumann hält wie eine echte Nummer eins
«Es war gut, dass wir so reagiert haben in der zweiten Hälfte», meinte Kapitän Kimmich. Es war ein Erfolg des Kollektivs, bei dem trotzdem Einzelne herausstachen. Natürlich Goretzka, dessen Länderspiel-Comeback nach 16 Monaten einem Fußball-Märchen glich. Nagelsmann rühmte den von vor einem Jahr Ausgemusterten als «MVP», als wertvollsten Spieler auf dem Platz. «Ein Top-Comeback nach allem, was passiert ist», lobte der Bundestrainer.