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Warum verprügelt man sich eigentlich?

So ticken Hooligans bei der EM

Eigentlich sollten wir in der EM-Zeit nur Chips futtern, Bier trinken und DIE MANNSCHAFT anfeuern. Stattdessen sehen wir immer wieder Bilder, wie sich Fans verprügeln - und sogar Unbeteiligte angreifen. Gerade bei den russischen Fans ist das der Fall. Aber warum ist das eigentlich so? Der Hooligan-Experte Gunter Pilz (geborener Baden-Badener) hat die Antworten.

Warum verprügeln sich Hooligans eigentlich?

Gunter Pilz: Es gibt im Prinzip zwei Motivstränge für Hooligans: Das Eine sind Menschen mit niedrigem Bildungsniveau, wenig Zukunftsperspektiven, die ihre Minderwertigkeitsgefühle dadurch versuchen zu kompensieren, dass sie sich in Gruppen zusammenschließen und andere zusammenhauen. Dann gibt es den zweiten Motivstrang: Das sind Menschen, die nicht ihr Selbstwertgefühl aufbauen müssen, sondern die aus dem Bildungsbürgertum stammen - Abenteuersucht, Spannung, Risiko versuchen zu befriedigen, also den optimalen Kick.

Also sind es Menschen wie Sie und ich?

Gunter Pilz: Vor ein paar Jahren wurden vier hannoverische Hooligans nach einer Schlägerei in Bremen festgenommen. Der eine war Arzt, der zweite war Rechtsanwalt und Notar, der dritte war Diplomingenier und der vierte war Banker.

Wir haben hier ja auch öfter Hooligans - nicht nur während der EM. Da prügeln sich die Karlsruher mit den Stuttgartern. Jetzt bei der EM ist es so: Das spielt zum Beispiel Deutschland gegen Russland. Also tun sich die Karlsruher und Stuttgarter - die sich vorher verprügelt haben - dann zusammen?

Gunter Pilz: Natürlich. Da bildet man sogenannte temporäre Kampfgemeinschaften. Das hat auch ein Hooligan mal schön beschrieben: Im Bundesliga-Alltag haut man den Kumpel um und dann geht man mit dem zum Länderspiel und dann haut man Seite an Seite die anderen um. Also da haben die überhaupt keine Probleme mit.

Nehmen die sich das dann überhaupt übel? Oder ist das dann so: "Okay, du hast Spaß dran, ich hab Spaß dran - wir verprügeln uns und danach gehen wir n Bier trinken? Oder ist man schon sauer aufeinander?

Gunter Pilz: Das ist idealtypisch der Hooliganismus so wie er in den 80er und 90er-Jahren war. Da gab es auch klare Regeln: Einen sogenannten Ehrenkodex. Wenn einer am Boden liegt, dann trittst du nicht noch nach und man prügelt sich nur mit seinesgleichen und lässt andere - die sich nicht prügeln wollen - in Ruhe. Aber was wir jetzt gerade in Marseilles erlebt haben - die kennen diesen Ehrenkodex nicht. Die treten auch rein, wenn einer am Boden liegt. Die schlagen sich auch nicht nur mit ihresgleichen, sondern alles, was ihnen in den Weg kommt und was nicht aussieht, als würde es zu ihnen gehören. Insofern hat es eine neue und um vielfach brutalere Dimension und diese idealistische Darstellung trifft - zumindest für das, was wir gerade in Frankreich erleben - nicht mehr zu.

Gunter Pilz ist in Baden-Baden geboren, hat in Freiburg, München und Zürich studiert und 2012 den Ethik-Preis des Deutschen Olympischen Sportbundes unter anderem für herausragende Verdienste in den Bereichen Fair Play und Gewältprävention erhalten.