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Warum sich Veganer immer wieder rechtfertigen müssen

Kein Fleisch essen ist kein Verbrechen

​Immer mehr Menschen widmen sich der vegetarischen oder veganen Ernährung. Laut VEBU ernähren sich 2018 etwa 10% der deutschen Bevölkerung vegetarisch. 1,3 Millionen Menschen greifen bei ihrer Ernährung zu rein pflanzlichen Produkten. Der Begriff Vegan ist mittlerweile allgegenwärtig und heiß diskutiert.

Ich selbst zähle mich seit etwa fünf Jahren zu den "Vegetariern" und ernähre mich mittlerweile zum Großteil vegan. Ab und zu gibt es Ausnahmen, da besonders das auswärts Essengehen vegan oft aufwändig ist. Mit zwanzig Jahren fällt es mir nicht immer leicht provozierende Sprüche kommentarlos zu schlucken. Wenn ich ehrlich bin, ist es im Endeffekt aber die einzige Möglichkeit, dass sich die Gespräche während des Essens nicht ständig um ein und dasselbe Thema drehen.

Das soll keinesfalls bedeuten, dass ich nicht bereit bin über das Thema zu diskutieren. Soll auch nicht heißen, dass ich die Kritik oder das Unverständnis nicht verstehen oder nachvollziehen kann. Solange sich das Ganze auf einem gewissen Niveau befindet. Es gibt etliche Internetseiten auf denen man sich hervoragend informieren kann. Unzählige ernährungswissenschaftliche Artikel über fleischfreie oder sogar rein pflanzliche Ernährung diskutieren ausführlich über die Vor- und Nachteile. Dokumentationen, wie "Cowspiracy", "What the health" oder "Earthlings" erzählen die Wahrheit über die Massentierhaltung.
 
Plötzlich ist jeder Ernährungsberater

"Dir fehlen alle wichtigen Nährstoffe." "Was ist mit Kalzium? Wie kommst du an deine Proteine? Und generell, das ist doch total ungesund." Von klein auf bekommen wir erzählt, dass uns Milch groß und stark werden lässt und durch Fleisch unsere Muskeln wachsen. Dabei hat den größten Bizeps doch immernoch Popeye der Seefahrer. Und der isst nur Spinat. Gemüse, Obst, Nüsse, pflanzliche Fette. Über diese Quellen lässt sich der benötigte Nährstoffhaushalt problemlos auffüllen. Ausgenommen Vitamin B12, das sollte man bei einer rein pflanzlichen Ernährung tatsächlich in Form von Nahrungsergänzungsmitteln zu sich nehmen, da es in pflanzlichen Lebensmitteln nur in kleinen Mengen vorkommt.

Fleisch ist so krebserregend wie Zigaretten

Man darf nicht vergessen, dass es immer auf das Große und Ganze ankommt. Auch bei der Ernährung. Natürlich lässt sich durch Milch der Kalziumhaushalt im Organismus leicht auffüllen und Fleisch eignet sich hervorragend als Proteinquelle. Die anderen Produkte, die dem Körper durch den Verzehr der genannten Lebensmittel zugeführt werden, verlieren da an Bedeutung.

Die industrielle Massentierhaltung, die leider 98% der gesamten Fleischindustrie in Deutschland ausmacht, fordert einige Opfer. Da die Tiere unter grausamen Bedingungen auf viel zu kleinem Raum gehalten werden, sind Krankheiten und Entzündungen zur Normalität geworden. Laut dem Bundesinstitut für Risikobewertung bekommt ein Mastschwein in "seiner ca. 115-tägigen Mast an durchschnittlich 4,2 Tagen (Medianwert)" eine Antibiotikabehandlung. Ein Hähnchen bekommt von 39 Tagen Mast im Durchschnitt an 10,1 Tagen Antibiotika. Von insgesamt etwa 2000 im Jahr verbrauchten Tonnen Antibiotika sind nur 350 Tonnen für den Menschen. Die restlichen 1650 Tonnen werden in Tiernahrung gemischt und für die industrielle Fleischproduktuion genutzt. Bedeutet für den Menschen, dass er unbewusst regelmäßig Antibiotika zu sich nimmt. Was zur Folge hat, dass der Körper im Ernstfall nicht mehr optimal auf Antibiotika anspringt und wir irgendwann so immun gegen die Wirkung sein werden, dass es beinahe nutzlos wird.

Es gibt unterschiedlichste Ansätze, die aus medizinischer Sicht den Konsum von tierischen Produkten kritisieren. Die Weltgesundheitsorganisation hat 2015 viele verarbeitete Fleischprodukte, wie Schinken und Wurst in Gruppe 1 "Krebserregend" eingeteilt, dieselbe Stufe wie Zigaretten und Alkohol. Übrigens liegt der empfohlene Konsum von Fleisch bei 300 bis 600g pro Woche und sollte nicht überschritten werden.
 
Eine der größten Grausamkeiten...

... ist die Massentierhaltung der deutschen Fleischindustrie. Die medizinischen Vorteile sind für mich eigentlich nur ein nettes Nebenprodukt, das aus meiner Ernährung resultiert. Ich habe mich in erster Linie gegen den Konsum von tierischen Produkten entschieden, weil ich den Tod von Tieren und das Leid, dass sie bis zur Schlachtung begleitet, nicht verantworten kann. Die Fleischindustrie benutzt Tiere als Maschinen. Sie haben keinen emotionalen Wert. Sie dienen als reine Nutzobjekte. Die physischen und psychischen Schmerzen, die die Tiere in ihrem viel zu kurzen Leben ertragen müssen, sind wohl kaum vorstellbar. Die Gesellschaft tut das leicht ab, denn es sind ja nur Nutztiere, die werden schon immer gegessen. Wie extrem sich das "schon immer essen" aber seit der Industrialisierung verändert hat, scheint niemandem so richtig klar zu sein.

Rassentrennung in der Tierwelt

Beim Hundefleisch-Festival in China, schreien die Deutschen auf. Das kann nicht sein. Das ist Tierquälerei, so kann man kein Lebewesen behandeln, Hunde dürfen nicht getötet werden. Vor den Grausamkeiten, die den 745 Millionen Tieren, die jedes Jahr in deutschen Mastbetrieben getötet werden, verschließt die deutsche Bevölkerung aber lieber die Augen. Jeder sollte einmal in sich gehen und überlegen, aus welchem Grund eine Katzen, Hunde und Pferde von uns geliebt werden, bei jeder Kleinigkeit zum Tierarzt gebracht, untersucht und gesund gepflegt werden. Treten wir unserem Hund versehentlich auf die Pfote oder setzen uns der Katze auf den Schwanz, plagt uns ein schlechtes Gewissen und wir entschuldigen uns in einer komischen Stimmlage und mit Liebkosungen bei unserem liebsten Vierbeiner. Wie können wir die einen von ganzem Herzen lieben und den anderen ein solches Leid antun?

Vegan als Essstörung

Manche Kommentare sind unter der Gürtellinie. Erst gestern musste ich mir anhören, Vegan sei eine Essstörung. Tatsächlich ist eine Essstörung eine ernstzunehmende psychosomatische Erkankung, die viele Gefahren mit sich bringt und die Betroffenen häufig ein Leben lang begleitet. Eine bewusste getroffene Entscheidung, keine tierischen Produkte mehr essen zu wollen, mit einer ernsten Erkankung zu vergleichen, ist absolut nicht okay. Wegen der vielen nervigen Diskussionen und Kommentare, die oft sehr persönlich werden, möchte ich mich bei neuen Leuten schon gar nicht mehr "Outen", zudem ich sowieso nichts von dem Titel "Veganer/in" halte, da dieser einen sofort in eine Schublade steckt. Man wird schnell belächelt oder mit Anti-Sprüchen bombadiert. 

Leben und leben lassen

Zum Schluss noch ein kleiner Appell von mir an alle! Übt euch in Toleranz. Drängt keinen in Erklärungsnot. Für mich ist es generell unverständlich, wieso sich diejenigen, die sich gegen die Grausamkeiten der industriellen Produktion stellen, dafür rechtfertigen müssen. Kein Fleisch zu essen ist kein Verbrechen.  Sollte es nicht eher so sein, dass derjenige der jeden Tag zu jeder Mahlzeit Fleisch isst, peinlich berührt nach Gründen für den Konsum sucht? Nein, sollte es natürlich nicht.

Ich verurteile niemanden, der Fleisch isst und schaue keinen schief an, weil er ein Glas Milch trinkt oder doppelt Käse auf der Pizza bestellt. Ich glaube, die meisten Vegetarier oder Veganer haben Verständnis denen gegenüber, die den Schritt nicht gehen wollen. Ich selbst war Steakliebhaber, habe Käse massenweise verschlungen und nie nein zu einem guten Rührei gesagt. Mir fiel es anfangs verdammt schwer zu widerstehen. Mittlerweile weiß ich aber auch wie gut es sich anfühlt, mit dem ganzen Leid nichts mehr zu tun zu haben und die unendliche Vielfalt von pflanzlichen Lebensmitteln zu genießen.

Merke

Das sind alles meine persönlichen Empfindungen und meine Beweggründe, kein Fleisch mehr zu essen. Jeder Einzelne trifft seine Entscheidungen. Und jede Entscheidung hat ihre Gründe und die muss nicht jeder toll finden. Wie überall im Leben gilt doch: Leben und leben lassen.