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Einkaufen in Corona-Zeiten: Ein Erlebnisbericht

Corona und Einkaufen: Bin ich hier der Verrückte?

Es ist wie während einer Apokalypse. Nur weniger Rauch und Waffen. Dafür: Gummihandschuhe, Mundschutze und ein Mann mit pizzagroßem Visier vor der Nase. Ich hatte keine persönliche Schutzausrüstung am Mann. Nur meinen Verstand. Und wurde angeschaut wie ein Außerirdischer. Nur weil ich denen die letzten Reserven lassen möchte, die sie wirklich brauchen.

Ich fühle mich ein wenig wie in einem Quentin Tarantino Film. Die Sonne steht tief. Jeder lauert. Es könnte ja plötzlich von irgendwo ein Laster mit Toilettenpapier um die Ecke kommen. Würden sie es verpassen, wären sie nie wieder glücklich; vermutlich.
Ich spüre im Nacken, wie im Hintergrund ein trockener Busch vorbei rollt. Vielleicht ist es aber auch nur ein E-Auto. Aber ich merke deutlich: SIE sind auf der Jagd. Ich hingegen gehe einkaufen.

Tatsächlich benötige ich was. Meine Seife ist leer. Eier und Waschmittel habe ich die letzten Tage auch nirgends bekommen. Vielleicht ja heute. Außerdem brauche ich Zwiebeln und Tomatenmark für eine Bolo. Ja, ich trauemich tatsächlich Nudeln zu kochen, obwohl ich keine weiteren 19 Packungen Spaghetti zu Hause auf Lager habe. Vor dem Markt ist alles abgesperrt. Der ein- und auslaufende Publikumsverkehr wird getrennt. Eine große Warntafel verpflichtet: Abstand halten, nicht alles anfassen und dann ins Gesicht greifen. Dachte bisher, dass das selbstverständlich sei. Aber ich wasche mir ja auch die Hände, wenn ich nach Hause komme. Ich Revoluzzer.
 
Im Markt: Menschen mit Mundschutz. Alle tragen Handschuhe. Und wenn nur an der stärkeren Hand mit der sie die Einkäufe in den Wagen legen, damit sie Einweghandschuhe sparen. Einer trägt sogar eine Plexiglasscheibe auf dem Kopf, stolz wie ein Feuerwehrmann sein Visier. Er guckt verdächtig unruhig. Mit Gartenhandschuhen greift er mehrfach die Ware in der SB-Fleischtheke an, um sie zu inspizieren. Zwischendrin kratzt er sich wiederholt am Kopf. Mit den Handschuhen. Ob Visier und Handschuhe in dem Fall was bringen, bezweifle ich nicht. Zu sehr irritiert mich dieser Anblick. Irgendwie fühle ich mich zwischen all den anderen Kunden hier plötzlich fremd, obwohl ich hier häufig einkaufe. Ich bin der Einzige ohne persönliche Schutzausrüstung. Ohne Handschuhe. Ohne Mundschutz. Und ohne panischen Blick.

Ich achte darauf, mir nicht ins Gesicht zu fassen. Ich wahre den Abstand zu den Anderen. Macht man so, habe ich mal irgendwann gelernt. Intime Distanz, persönliche Distanz, gesellschaftliche Distanz, öffentliche Distanz. Trotzdem bin ich DER ohne Handschuhe und ohne Mundschutz. Ich werde beobachtet. Teilweise wie ein Alien. Egal wie, mich verunsichert die Situation. „Wie kann der nur?!“.

Zwischenzeitlich frage ich mich, ob ich vielleicht derjenige bin, der irgendwas verpasst hat. Ich versuche den Laden möglichst schnell zu verlassen. Das erste Mal Gefallen an der Situation finde ich an der Kasse. Das erste Mal, dass die Kunden nach mir den Abstand einhalten, den ich als angenehm empfinde. Das erste Mal spüre ich nicht den ungeduldigen, gestressten Atem meines Hintermannes in meinem Nacken während ich anstehe. Vielleicht nehmen wir das ja aus der Situation mit, wenn irgendwann alles wieder gut ist. Schön wärs. 
Als ich das Geschäft verlasse, desinfiziere ich mir die Hände. Zuhause wasche ich sie sowieso. So wie immer, wenn ich einkaufen war.

Aber mal ehrlich: Das, was hier vielleicht nach einem schlechten Samstag-Abend-Film klingt, passiert im Moment. Ist mir passiert. Und passiert tausenden Anderen. Aber: Was soll das? Plötzlich achten wir auf andere – aber nicht aus Respekt vor anderen Menschen, sondern aus purer egoistischer Panik?
Während in den Praxen und Kliniken die Ärzte teilweise Mundschutze mehrfach verwenden müssen, sogar schon überlegen diese zu waschen, weil es keinen Nachschub gibt, bunkern Tausende zuhause ihre eiserne Reserve.
 
Ein 24-Jähriger hat durch die Krise sogar Millionen damit verdient. Wenn ich drüber nachdenke, schüttele ich schon fast automatisch mit dem Kopf. Dabei ist es so leicht: Wer von uns nicht krank ist, braucht keinen Mundschutz. Punkt. Wer die Möglichkeit hat sich die Hände zu waschen, braucht sich nicht alle zwei Minuten die Hände desinfizieren. Gerade wo Desinfektionsmittel gerade ein rares Gut ist. Und gut ist an einem raren Gut gar nichts. Wer dann noch stolz ein Bild auf Facebook oder Instagram postet: „Guck mal, ich mit meinem Mundschutz!“, der hat in meinen Augen den Schuss nicht gehört.

Aufmerksame Antagonisten antworten jetzt vielleicht: „Aber warum tragen dann Arzthelferinnen und Arzthelfer, Apothekerinnen und Apotheker während der Arbeit einen Mundschutz?! Die dürfen doch krank gar nicht arbeiten!“. Gut aufgepasst. Die machen das für UNS! Die haben den ganzen Tag mit hunderten kranken Leuten zu tun. Somit können sie auch selbst als Übertrager fungieren, bevor sie an sich die Symptome merken. Möchten sie nicht. Eigentlich nett. Aber gar nicht nett ist, genau diesen Leuten die Reserven anzubohren. Wenn wir, die Privatleute, aber trotzdem Andere um uns rum schützen wollen: Da reicht ein Schal, ein Tuch, ein Buff. Und hat die deutliche Geste: Hey, ich pass auf, dass ich Euch nicht anstecke – sollte ich das Virus haben. Und das kann ich auch tun, ohne medizinische Ausrüstung zu nutzen.

Die brauchen wir nämlich aktuell dort, wo es wirklich wichtig ist. Dort, wo Mediziner arbeiten. In Praxen, in Krankenhäusern. Aber die kriechen mit ihren Ressourcen auf dem Boden. Während ein Mann in der Apotheke mit der Angestellten wutentbrannt diskutiert, warum sie ihm kein Desinfektionsmittel anmischt und das lieber für die Apotheke, ihre Arbeit, benötigt, bleibe ich halt mal bis aufs Nötigste zu Hause. Und schütze damit mich. Andere. Tut nicht weh. Und ist im Gegensatz zu so viel anderem wirklich sinnvoll.

Bleibt gesund.